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Lichter im Dunkeln

Tschechien begrüßte mich mit Sonnenschein.

Nach einer kalten Nacht in der sächsischen Schweiz folgte mein erster Grenzübergang.

Ich hatte vorher kaum eine Vorstellung von diesem Land, welches nun gerade erst vor mir lag, also gab es auch nicht viel, was erfüllt oder enttäuscht werden konnte.

Um vorweg die Klischees zu bedienen:

- schlechte Straßen (vor allem die Teile, wo keine Autos drüber fahren)

- die Autos stoßen Gase aus, da frage ich mich, wie die durch einen TÜV mit EU-Normen kommen

- Rauchen ist Volkssport

- günstiges Bier

- hübsche Frauen

Genug mit den Klischees!

Tschechien erschien mir allgemein glanzlos. Das ist nicht negativ gemeint, denn genauso habe ich die Landschaften Deutschlands, welche man ja lange und gut genug kennt, betrachtet. Und genau wie in Deutschland habe ich auch in Tschechien längst nicht alles gesehen - doch das, was ich gesehen habe, könnte man auch für Deutschland halten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Keine großen Unterschiede. Keine großen Belohnungen für Anstrengungen.

Nach zwei Tagen auf Tschechiens Straßen kam ich in Prag an.

Prag!

Prrrrr-

-ag!

Praaaaag!

Eine Weltstadt, die von vielen besucht wird, noch von vielen mehr besucht werden will - und meines Erachtens von jedem besucht werden sollte!

Hier sah es mit den Vorstellungen schon GANZ anders aus, und mein lieber Sittich, sie wurden mit Pauken und Trompeten übertroffen!

Prag ist unglaublich.

Mit dem Bewusstsein, sich in einer Metropole zu befinden, fühlt man sich eher wie in einem Küstenstädtchen mit altbewartem Charme. Obwohl die Gebäude über einem Vier und mehr Stockwerke in den Himmel steigen, ist alles so offen! Die meisten der Straßen in Prag bestehen aus Zwei bis Drei Verkehrsspuren, nebenan sind noch Zwei Spuren mit parkenden Autos zugestellt, die aber niemandem im Weg zu sein scheinen, denn der Verkehr fließt ständig - während auf den gleichen Spuren, auf denen die Autos fahren, noch zwei Gleise für die Straßenbahn liegen und intensiv befahren werden. Den Abschluss bilden sehr großzügige Fußgängerwege, auf denen Gedränge kaum zu denken ist und nahe der Elbe weht frische Luft durch die Gassen.

Das alles fügt sich in diese alte Architektur, die ich bis dahin in Tschechien kaum habe finden können.

Angesichts dieser Ruhe und Gelassenheit, mit der sich durch die großräumigen Stadtgebiete, welche oftmals stark begrünt sind, flanieren lässt, wirkt es, als wäre die Stadt unterbesiedelt - oder der Plan für die Stadt, wie sie heute ist, wurde vor Zweihundert Jahren gemacht und man hat gleich mehr Platz eingezeichnet.

 

Damit ist das unglaubliche geschehen: Prag hat Bielefeld vom Thron der Liste "Geilste Städte der Welt" geworfen.

Doch Prag hat seinen Tribut gefordert.

Seit meinem selbstzerstörerischen Höllenritt am dritten Tag der Reise schmerzsten die Knie etwas. Am Tag zur Reise in die tschechische Hauptstadt probte ich eine knieschonende Tritttechnik - über 70km, was man untrainiert nicht tun sollte.

Nun, nach Prag bin ich an dem Tag förmlich geflogen und die Knie meldeten sich auch nicht. Zumindest, bis ich ankam und runterkühlte.

Üble Kniebeschwerden, durch die ich sie kaum beugen oder strecken konnte machten mir den Aufenthalt etwas unangenehm, doch laufen ging gut.

Nach einigen Tagen Pause setzte ich mich wieder auf das Rad, bereit, bei Benesov ein weiteres Mal mein Camp aufzuschlagen. Doch mit den Stunden steigerte sich der neue alte Schmerz und wandelte sich auch bald von "überlasteter Muskel oder so in der Art" zu "etwas kratzt über den Knochen im Gelenk" - Vollgriff in die Bremsen, runter vom Rad. Feierabend, kein Pedaltritt mehr, bis ein Arzt sich das angesehen hat. 

Glücklicherweise befand ich mich zu dieser Minute in Cercany, einem Dörfchen, welches scheinbar nur aus seinem eigenen Bahnhof zu bestehen schien. Mit Gedanken von kaputten Knien, wegen denen ich vielleicht nie wieder richtig Sport machen könnte ging ich zum Schalter und wollte auf englisch herausfinden, ob ein Zug mich nach Budweis bringt, denn von dort wollte ich den nächsten Tag nach Wien weiter (wieso nach Wien, ergibt sich in den nächsten Zeilen).

Englisch? In Tschechien? Guter Witz! An dieser Stelle vollkommen aufgeschmissen, die Dame am Schalter fühlte sich durch mein "Hello" schon fast angegriffen. Glücklicherweise war eine ältere Dame mit gutem deutsch zur Stelle, diese konnte mir weiterhelfen. Die Dame erleuchtete mir ein wenig das Dunkel, welches sich seit dem Wandel der Schmerzen in meinen Gedanken breit machte.

Zufrieden und mit dem Ticket fix in den Zug, der da auch schon einrollte. Im Zug dann der Klassiker: mir fehlt ein Ticket für mein Fahrrad. Trotz dem unübersehbaren Gefährt an meiner Hand und meiner eindeutigen Anspielung schien es nicht logisch zu sein, mir dafür eins mitzugeben...

Egal, der nette Herr von der Bahn gab mir dann einfach während der Fahrt eins. Ein bisschen mehr Licht im gerade gewachsenen Dunkel. Trotzdem, der Gedanke, jetzt noch irgendeine Strafe für "Schwarzfahren" zahlen zu müssen, wäre nun echt nicht nötig gewesen!

Ankunft in Benesov. Gegenüber mein Bahnsteig, der Zug nach Budweis ist bereits da. Die Schaffnerin will zuerst meine Tickets sehen, bevor ich mit meinem ungewöhnlichen Gepäck in das Abteil gehe. Erneut kaum ein englisches Wort. Alles, was die Dame mir hat verdeutlichen können, war, dass das Ticket für mein Fahrrad nur bis Benesov gültig war und ich eine Reservierung für den Zug nach Budweis benötige - vom Schalter natürlich. Nochmal ein Danke an die Olle in Cercany und den Goofy aus dem Zug nach Benesov, welcher mir auch gleich etwas in der Art hätte geben können. Wachsende Dunkelheit.

Also mit Dampf zum Schalter - mit so viel Dampf, wie die Bahnhofsaufzüge in Tschechien halt zulassen. Diese sind lächerlich unterdimensioniert, sodass man nichteinmal ein 26 Zoll Fahrrad dort reinbekommt. Also mit dem Vorderrad nach oben, um schnell rein zu kommen und vom Bahnsteig zu gelangen. Dafür sind die Halterungen an den Radtaschen nicht ausgelegt und *krack* da brach die erste. Der Tag fing an, mich richtig zu nerven.

Am Schalter natürlich das Selbe wie in Cercany, kaum englisch und nur mit Händen und Füßen das Fahrradticket bekommen. In der Zeit fährt der Zug ab, großartig. Egal, hab ja Zeit, kann warten. Muss eh mal ein wenig runterkommen...

Am Bahnsteig dann Verwirrung: mehrere Züge sollen nach Budweis gehen und es ist niemand mit ausreichend englischen Sprachkenntnissen da, der mir sagen kann, wofür mein Ticket nun gültig ist. Die Dame vom Schalter verstand mein Problem nicht. Sowas steht natürlich auch nicht auf den tschechischen Zugtickets! Wozu auch? ;)

Die Menschen auf den Bahnsteigen reagierten teilweise mit Abscheu auf meine Frage, ob jemand englisch versteht. Der Tag wurde und wurde nicht besser.

Nachdem mir der Schaffner von einem Zug, der schon länger da stand und Pause machte helfen konnte, saß ich beruhigt am Bahnsteig und wartete - bis besagter Schaffner nochmal kam und sich die Tickets ansehen wollte.

Falsche Tickets, ungültig. Mehr konnte er mir nicht mit seinen wenigen englischen Worten erklären. Nach der Tante in Cercany nun auch die hier in Benesov.

Man kann ja echt zu schnell über Länder urteilen...aber derartige Schlamperei von Arbeitern innerhalb der vitalsten Funktionen eines Staates spricht nicht gerade für ihn.

Das war die Kettensäge auf meinen blank liegenden Nerven und ich kurz davor an diesem unschuldigen Herrn alles auszuprobieren, was ich in 13 Jahren Kampfkunst gelernt habe.

Obwohl es mir sicherlich gut getan und das Verprügeln eines Bahnbeamten mindestens eine Nacht in einer warmen Zelle mit etwas zu Essen und Wasser bedeutet hätte (in diesem Moment wollte ich gar nicht mehr als nur das), habe ich mich wie sonst auch beherrscht, denn:

die ganze Zeit über lief der Schriftverkehr mit meiner Couchsurfing Gastgeberin aus Tabor, dem Ort, an dem ich den folgenden Tag hätte ankommen sollen, wären meine Knie nicht im Eimer gewesen. Von ihr kam nun der Vorschlag, ich könnte auch schon diesen Tag kommen und sie hat auch schon den Express von Tabor nach Wien gefunden.

Aber wie verklicker ich das nun dem Schaffner vor mir? Falsche Tickets für Züge, die ich nicht mehr nehmen will und nun bitte neue?

Klar: die Gastgeberin angerufen, ihr (eine von drei Menschen in Tschechien, die vernünftiges englisch sprechen!) erklärt, dass sie mit dem Typen quatschen soll und ihm das Telefon gegeben.

Das Ergebnis war überwältigend.

Der Schaffner war von dem pausierenden Zug, welcher genau nach Tabor fahren sollte! Er half mir in den Zug, sorgte persönlich dafür, dass ich bis Tabor fahre und im nervösen Kopf nicht noch zu früh aussteige oder zu weit fahre. In Tabor erwartete mich dann Lenka, meine Gastgeberin. Mit ihrer liebenswerten Familie in dem schönen Haus konnte ich einen unglaublich erholsamen Abend verbringen. Am nächsten Tag gab es vor der Abreise nach Wien noch eine Stadtrundführung - denn wir haben wegen Schlamperei der Damen am Schalter in Tabor meinen ersten Zug verpasst (und den zweiten beinahe auch noch, auch wieder wegen diesen...ARGH!!!).

Nach dem, was passiert ist, fällt es mir schwer, Tschechien in guter Erinnerung zu behalten. Prinzipiell nicht vernünftig ihrer Aufgabe nachgehende Schaltertanten bei der Bahn sprechen für mich eine deutliche Sprache - finden übrigens auch einige Einheimische, wie ich herausfinden konnte. Derartige Witze sind dort wohlbekannt.

Dennoch kann ich nicht ignorieren, was für Lichter der lustig aussehende Schaffner, dem ich beinahe etwas getan hätte und Lenka und ihre Familie für mich im Dunkeln waren, als ich sie am meisten benötigt habe. Sie reihten sich strahlend in die Reihe meiner Schutzheiliger für Reisende ein und ermöglichten mir dann doch noch eine einigermaßen unkomplizierte Reise nach Wien, wo ich einen Doktor für meine Knie aufsuchen muss.

Ich kann den beiden nicht genug danken.

 

 

 

 

 

 

 

 

Der zweite Grenzübergang auf meiner Reise und ich musste ihn schon ohne Fahrrad machen. Schon wieder Schummelei, und diesmal noch mehr Kilometer als von Leipzig nach Dresden. Ich bin hart frustriert darüber, wie meine Reise so beginnt, aber es hilft ja nichts. Aus oben geschilderten Erlebnissen kam ein tschechischer Dorfdoktor ohne Englischkenntnisse für meine Schmerzen nicht infrage.

Nun bin ich also in Wien. Freitag Abend. Vor Montag nix zu machen. Was soll's, es gibt deutlich miesere Orte, um festzusitzen :)

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