
Tianjin war als Metropole an der Küste und mit entsprechender Luft mal eine schöne Abwechslung. Ich hätte nie gedacht, dass es mir in solchen Wüsten aus Beton, Glas und Stahl mal gefallen würde...aber auch diese Stadt musste bald wieder verlassen und der Sturzflug in den Süden fortgesetzt werden.
Besagter Sturzflog ging durch die extrem platte Landschaft mit durchschnittlich 100km pro Tag im Kinderspiel
vonstatten und jeden Tag war die Veränderung zum Vortag zu spüren: es wurde täglich heißer und feuchter. Der Sommer in China zog sich noch hin, meine Zeit weit im Norden war wohl nicht lang genug. Aber bald wird der Monsun drehen und der Wintermonsun Einzug halten, dann wird es angenehm :)
Die flache Ebene führte unter Anderem nach Tai'An, der Stadt am Tai Shan: heiliger Berg Nummer 2!
Diesen Berg erwanderte ich des Nachts zusammen mit anderen europäischen Touries um früh morgens den Sonnenaufgang zu beobachten - mit Erfolg, soweit man das angesichts der 3000 Chinesen mit hell leuchtenden Smartphones vor meinen Augen sagen kann.


Der Rest der ersten Halbzeit verlief eher unspektakulär. Nach dem zweiten heiligen Berg schummelte sich noch schnell Qufu, Kunfuzius' Heimatstadt hinein, wo man in einem banalen Wald voll mit Grabsteinen seiner Nachkommen auch sein eigenes Grab besuchen kann - ebenso banal, ein bisschen wie "Gehen Sie weiter, es gibt nix zu sehen!"
Soweit also meine Erlebnisse in China, 45 von 90 Tagen.
Wenn ich so zurückdenke und mir nochmal meine Zeilen dazu durchlese kommt eine ganze Menge negatives zusammen...
Meine Reise durch China hat mich bereits jetzt grundlegend vom Land desillusioniert. Von keinem anderen Land zuvor hatte ich eine dermaßen falsche Vorstellung wie von China. "Falsch" ist dabei vielleicht nichtmal der korrekte Ausdruck...eher "lückenhaft".
Das, was ich mir unter China vorgestellt habe, was sich nahezu jeder in der Welt darunter vorstellt, weil man als Außenstehender nur dieses zu sehen bekommt, ist wirklich da! Die Vorstellungen, die sich vor dem geistigen Auge auftun, wenn man in einem chinesischen Restaurant die Bilder und Verzierungen oder im Fernsehen eine tolle Dokumentation über China ansieht sind real. Aber dies ist nicht die einzige Realität, die man in China vorfindet, wenn man so wie ich auch zwischen den Traumfestungen intensiven Einblick probt. Die unverfälschte Wahrheit über das Land und seine Leute hat mich hier hart getroffen und es fiel mir zuerst schwer, mich wohl zu fühlen - dabei habe ich mich soooo lange danach verzehrt, endlich anzukommen und alles in mich aufzusaugen! Leider war mein Leibgericht bis hierher ein wenig versalzen.
Bis hierher!
Denn wenn ich diese Zeilen schreibe, erinnere ich mich bereits an die Anfänge der Erfüllung meiner Träume über China und es ist deutlich, wieso ich diesen Bericht so aufgeteilt habe. Ursprünglich wollte ich alle 4 Wochen schreiben, aber als deutlich wurde, dass sich perfekt zur Halbzeit eine 180° Wende ankündigt, dachte ich, dass ich mal zuerst von der Katastrophe berichte, um nach dem Finale hoffentlich Bilder von einer Traumwelt zeigen zu können :)
Und so richtet sich mein Blick weiterhin auf das, was in diesem doch wundervollen Land noch alles vor mir liegt und ich brenne förmlich darauf, dort endlich meine Traumvorstellungen als Realität betrachten zu können!

PS: erwartet nichts, wenn ihr einem Chinesen eure Kamera in die Hand drückt und sagt, dass ihr den tollen Hintergrund mit auf dem Bild haben wollt - auch, wenn er gut englisch spricht.
